Die Patentrecherche ist ein zentraler Bestandteil des gewerblichen Rechtsschutzes. Für Patentanwälte, Rechtsanwälte mit Schwerpunkt Patentrecht sowie Unternehmen mit F&E-Abteilungen ist sie essenziell, um technische Entwicklungen rechtlich abzusichern, Verletzungen zu vermeiden und strategisch zu handeln.
1. Arten der Patentrecherchen
A. Neuheitsrecherche (State of the Art Search)
Ziel: Feststellung, ob eine Erfindung neu und erfinderisch ist.
Einsatzzeitpunkt: Vor der Patentanmeldung (oft durch den Patentanwalt selbst durchgeführt oder koordiniert).
Beispiel: Ein Maschinenbauunternehmen möchte eine neuartige Vorrichtung patentieren lassen. Vor Einreichung wird recherchiert, ob ähnliche Vorrichtungen bereits offenbart wurden.
B. Freedom-to-Operate-Recherche (FTO) / Kollisionsrecherche
Ziel: Klärung, ob ein Produkt oder Verfahren ohne Verletzung bestehender Schutzrechte auf den Markt gebracht werden kann.
Einsatzzeitpunkt: Vor oder während der Produktentwicklung oder Markteinführung.
Beispiel: Ein Pharmaunternehmen entwickelt ein neues Medikament und prüft, ob es bestehende Substanz- oder Verfahrenspatente Dritter verletzt.
C. Recherchen zur Rechtsbeständigkeit (Validity / Opposition Search)
Ziel: Überprüfung der Angreifbarkeit eines Patents, z. B. im Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahren.
Einsatzzeitpunkt: Nach der Erteilung eines Patents bei Angriff oder Verteidigung.
Beispiel: Ein Wettbewerber klagt wegen Patentverletzung. Zur Verteidigung recherchiert die beklagte Partei Entgegenhaltungen, um das Patent anzugreifen.
D. Überwachungsrecherche (Monitoring / Watch Search)
Ziel: Fortlaufende Beobachtung von Schutzrechtsentwicklungen (z. B. bestimmte Wettbewerber oder Technologien).
Einsatzzeitpunkt: Kontinuierlich.
Beispiel: Ein Automobilzulieferer überwacht monatlich alle Patentanmeldungen im Bereich elektrischer Antriebsstränge.
E. Technologierecherche
Ziel: Überblick über den Stand einer bestimmten Technologie zur strategischen Ausrichtung.
Einsatzzeitpunkt: Frühphase der F&E oder Markteintritt.
Beispiel: Ein Start-up möchte in die Wasserstofftechnologie einsteigen und analysiert die Patentlandschaft weltweit.
F. Inhaber-/Namensrecherche
Ziel: Auffindung aller Schutzrechte eines bestimmten Unternehmens oder Erfinders.
Beispiel: Due-Diligence-Prüfung bei einer Unternehmensübernahme.
2. Rechtlicher Ablauf
A. Verpflichtungen aus dem Patentrecht
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Nach § 1 PatG: Patent nur bei Neuheit und erfinderischer Tätigkeit.
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Patentanwälte sind gemäß § 43 PatAnwO zur gewissenhaften Recherche verpflichtet.
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Bei FTO: Verletzungsfreiheit muss sorgfältig geprüft werden, sonst drohen Unterlassungs-, Schadensersatz- und Rückrufansprüche (§ 139 PatG).
B. Gerichtliche und behördliche Relevanz
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Im Einspruchsverfahren (Art. 99–105 EPÜ) oder Nichtigkeitsverfahren (§§ 81 ff. PatG) sind Rechercheergebnisse oft entscheidend.
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In Verletzungsverfahren (z. B. vor dem LG Düsseldorf) dienen Recherchen als Grundlage für Gutachten, Verteidigung oder Gegenangriffe.
3. Technischer Ablauf
A. Datenbanken und Tools
Kostenlose Datenbanken:
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DEPATISnet (DPMA)
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Espacenet (EPO)
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WIPO PATENTSCOPE
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Google Patents
Kommerzielle Datenbanken (z. B. für FTO, Monitoring):
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STN (FIZ Karlsruhe)
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Derwent Innovation
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LexisNexis TotalPatent
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PatBase
B. Recherchetechniken
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IPC/CPC-Klassifikationen verwenden (z. B. F16 für Maschinenbau).
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Schlagwortrecherche (meist mit booleschen Operatoren: AND, OR, NOT).
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Zitatenanalyse (z. B. Rückwärtszitate für Rechtsbestandsprüfung).
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Ähnlichkeits- und Familienrecherche (z. B. über INPADOC).
4. Wie Patentrechtler recherchieren
A. Strategisches Vorgehen
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Briefing mit Mandant: Definition von Ziel, Umfang und Ländern.
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Auswahl geeigneter Datenbanken und Klassifikationen.
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Manuelle Validierung der Treffer, insbesondere in FTO-Recherchen.
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Analyse durch technisches und juristisches Verständnis.
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Bewertung mit rechtlichem Gutachten, insbesondere zu Anspruchsbreite, Rechtsbestand und Verletzungsrisiko.
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Dokumentation und Empfehlung (z. B. Anpassung der Produktgestaltung oder Anmeldung).
B. Typische Fehlerquellen, die Profis vermeiden:
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Übersehen von Übersetzungen (z. B. chinesische Offenlegung).
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Falsche Einschätzung des Anspruchswortlauts.
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Falsche Bewertung des Schutzumfangs wegen mangelhafter Anspruchsauslegung.
5. Warum Patentrecherchen besonders wichtig sind
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Vermeidung von Rechtsverletzungen: Abmahnungen und Prozesse kosten schnell Hunderttausende Euro.
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Vermeidung nutzloser Anmeldungen: Eine nicht neuartige Erfindung wird nicht erteilt.
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Strategische Marktpositionierung: Überblick über Wettbewerber und „weiße Flecken“ in Patentlandschaften.
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Stärkung der Verhandlungsposition: Bei Lizenzverhandlungen oder im Streitfall.
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Vermeidung persönlicher Haftung: Geschäftsleiter haften bei grober Fahrlässigkeit.
6. Praxisbeispiel aus der Kanzlei
Ein deutsches Medizintechnikunternehmen wollte eine neue Stent-Beschichtung anmelden. Die Neuheitsrecherche ergab, dass mehrere ähnliche Verfahren in US-Patenten beschrieben waren. Die Patentanmeldung wurde strategisch angepasst, mit Fokus auf ein chemisch neuartiges Bindemittel. Eine parallele FTO-Recherche führte zur Umgestaltung des Applikators, um ein bestehendes EU-Patent zu umgehen. Durch diese Kombination wurde ein wirtschaftlich starkes Schutzrecht erzielt und gleichzeitig die Haftungsgefahr minimiert.